Epochale Lebenswelten: Mensch, Natur und Technik in Krisen- und Umbruchsnarrativen
Epidemien, Erdbeben, Industrieunfälle und Überschwemmungen sind apokalyptische Katalysatoren: Sie bedrohen den Planeten Erde als Lebenswelt, und sind gleichzeitig Anfangspunkt für radikale Metamorphosen – sie läuten jeweils neue Zeitalter ein – die neue Weltenbeschreibungen mit sich bringen. Katastrophen und Krisenmomente sind also tipping points, die langfristig wirksame, epochale Veränderungen von Lebenswelten zeitigen. Wer diese Veränderungen ursächlich zu verantworten hat, ist dabei selten eindeutig auszumachen. Dieses Projekt widmet sich daher dem Zusammenspiel von Mensch, Natur und Technik in Momenten des “Kollaps” und den historische Epochen prägenden, “kritischen Übergängen”, die oft in Kategorien von Mensch, Natur und Technik beschrieben werden (Eiszeit, Steinzeit, Zeitalter des Buchdrucks, digitales Zeitalter, Anthropozän).
Das hier genutzte Konzept von Lebenswelten – verstanden als Erfahrungswelten, die durch menschliche sowie nicht-menschliche und über-menschliche Interaktion entstehen, und immer wieder von Grund auf neu aufgebaut und erfunden werden – fordert die Idee feinsäuberlich gegliederter Sektionen von Welt heraus und zeigt, dass und wie menschliche und nicht-menschliche “Welten” (Natur ebenso wie Technik) interagieren. Ziel dieses Projekts ist es, diese Prozesse auszutesten und konkreter zu beschreiben, und so unterschiedliche Morphologien von Lebenswelterzeugung zu etablieren. Dabei soll, im Dialog mit chinesischen Wissenschaftler*innen, das bisher vornehmlich als philosophischer Übersetzungsbegriff bekannte chinesische Pendant zu Lebenswelten, shenghuo shijie 生活世界, zu einem Konzeptbegriff erweitert werden, der nicht nur im philosophischen Diskurs in China als Übersetzung des deutschen philosophischen Begriffs bei Husserl, Schütz und Heidegger, also in der analytischen Auseinandersetzung mit Theorien der Phänomenologie, seine Bedeutung hat, sondern auch darüber hinaus, und somit in andere, vor allem sozialwissenschaftliche Fächer hineinwirken kann.
Für ein besseres Verständnis der Faktoren, die zu solchen Prozessen beitragen, untersucht das Projekt epochale Krisenmomente und deren emotionale Verarbeitung in Form von Texten, Klimadaten und Statistiken zu technischer und demographischer Entwicklung, kulturellen Produkten wie Musik, Literatur, Kunst und Film u.a. Im Fokus der Forschungen dieses Projekts stehen Mechanismen des Zusammenspiels zwischen Welterzeugung und Weltenbeschreibung, wobei das Augenmerk auf China im Austausch mit und im Vergleich zu anderen Weltregionen gelegt wird.